Chat-Transkript vom 12.07.2005

Hans-Christian Ströbele, stellv. Fraktionsvorsitzender von Bündnis '90/Die Grünen

Thema: Nebeneinkünfte / Vertrauensfrage

: Hans-Christian_Stroebele hat den Raum betreten
: Hans-Christian_Stroebele hat den Raum verlassen
: Moderator hat den Raum betreten
: Hans-Christian_Stroebele hat den Raum betreten
Moderator: Guten Abend Herr Ströbele!
Moderator: In ca. 30 Sekunden wird der Chat für die Zuschauer freigeschaltet.
Hans-Christian_Stroebele: Super, freue mich schon.
Moderator: Herzlich Willkommen bei dol2day - der Chat ist nun freigeschaltet. Heute begrüßen wir als Gast Hans-Christian Ströbele (Bündnis '90/Die Grünen).
Hans-Christian_Stroebele: Hallo liebe Chat-Freundinnen und -Freunde von dol2day!
Moderator: Herr Ströbele, bevor wir mit den Fragen beginnen: Könnten Sie sich kurz vorstellen, da vielleicht einige unserer Zuschauerinnen und Zuschauer sie nicht kennen?
Hans-Christian_Stroebele: IJa, ich bin Rechtsanwalt und seit 1998 Bundestagsabgeordneter. Ich bin zuständig für Geheimdienste, Rechtsausschuss und Entwicklungszusammenarbeit. Ich bin als einziger grüner Abgeordneter von meinem Wahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg dirket gewählt worden.
Hans-Christian_Stroebele: Ansonsten freue ich mich sehr über die Einladung und freue mich über Ihre Fragen...
Moderator: Das Thema des heutigen Chats lautet "Nebeneinkünfte / Vertrauensfrage". Fangen wir da mal mit dem letzteren an, da das schließlich am aktuellsten ist.
Moderator: Frage von Atarax an Hans-Christian Ströbele:    "Herr Ströbele, wie bewerten sie persönlich das Prozedere um die Vertrauensfrage? Und zeigt sich darin die Schwäche des Parlamentarismus im allgemeinen?"
Hans-Christian_Stroebele: Nein, darin zeigt sich vielleicht eine momentane Schwäche des derzeitigemn Bundeskanzlers. Nach der Niederlage bei der Landtagswahl in NRW. Ich habe dieses ganze Verfahren von Anfang an als politisch falsch und verfassungsrechtlich sehr problematisch auch öffentlich bezeichnet. Dieser Meinung bin ich noch heute, deshalb habe ich auch dem Kanzler entgegen seinem Wunsch das Vertrauen ausgesprochen und auf die Vertrauenfrage mit "Ja" gestimmt. Ich bin und beliebe übrigens dagegen, nun auch gleich die Verfassung zu ändern.
Moderator: Frage von reform4u an Hans-Christian Ströbele:    "Hätte Schröder, anstatt die Vertrauensfrage zu stellen, nicht einfach zurücktreten sollen?"
Hans-Christian_Stroebele: Nein, auch das halte ich nicht für richtig. Der Bundestag war für 4 Jahre gewählt und es bestand überhaupt kein Grund, die Wahperiode vorzeitig abzubrechen. Nach der dramatisch verlorenen Wahl in NRW hätten wir uns zusammen setzen sollen und fragen, welche Botschaft, wollen die WählerInnen uns mit diesem Ergebnis mitteilen. Dann hätten wir die Lehren aus der Wahlniederage ziehen und in konkrte Politik umsetzen sollen. Mehr als ein Jahr war noch Zeit. Die WählerInnen hätten dann im nächsten Jahr uns mit der Stimmkarte sagen können, was sie von der veränderten Politik halten. Nun stehen alle notwendigen und richtigen Änderungen der Politik nur in den Wahlprogrammen von Grünen und SPD.
Moderator: Frage von MFriedman an Hans-Christian Ströbele:    "Wie können sie sich an einer Abstimmung beteiligen, die sie evt für verfassungswiedrig halten? Warum haben sie sich nicht ihrem Fraktionskollegen Schulz angeschlossen? Oder gefährdet das die Wiederwahl?"
Moderator: Dazu passend:
Moderator: Frage von horschd an Hans-Christian Ströbele:    "Wie wahrscheinlich finden sie es, dass das BVG die vorgezogene Neuwahl doch noch stoppt?"
Hans-Christian_Stroebele: Die Abstimmung war keineswegs verfassungswdrig. Jedem Bundeskanzler steht es nach Artikel 68 Grundgesetz völlig frei, die Vertrauensfrage zu stellen, wann er will. Das Problem war doch ein anderes: Der Kanzler hat von uns erwartet, dass wir über die Vertrauensfrage nicht ehrlich und so abstimmen, wie wir es für richtig halten. Sondern wie von ihm gewünscht. Mit Enthaltung. obwohl wir eigentlich die Koaltion fortsetzen und ihm und der Regierung das Vertrauen aussprechen wollten. Das heißt, wenn er unsere ehrliche Meinung über die Vertrauensfrage verlangt hätte, wäre an der Abstimmung überhaupt nichts zu kritisieren gewesen. Bis vor 2 Wochen war ich der Meinung, dass der BUndespräsident oder das BVG die Neuwahl verhindern könnten. Inzwischen gibt es aber aus der SPD so viele Anzeichen, dass der Kanzler in der eigenen Partei nicht mehr den notwendigen Rückhalt hat, dass ich die Chancen dafür, dass das Gericht das Neuwahlverfahren doch noch stoppt, für sehr viel geringer einschätze. Auf meine Wiederwahl hat das Ganze nur dann Einfluss, wenn ich nicht ehrlich abgestimmt hätte.
Moderator: Frage von MINOS an Hans-Christian Ströbele:    "Was ist Ihrer Meinung nach der offizielle Grund für die Vertrauensfrage? Anscheinend hat der Kanzler als Grund unteranderem Sie namentlich genannt."
Hans-Christian_Stroebele: Das habe ich auch gehört. In der letzten grünen Fraktionssitzung vor der besagten Abstimmung war der Kanzler anwesend. ich hätte ihn gerne gefragt, ob diese Meldungen zutreffen. Leider ist er nach einer kurzen Rede von 7 Minuten aufgestanden und rausgegangen und hat mir damit keine Möglichkeit gegeben, ihn zu fragen. Jetzt lese ich in der Zeitung, dass er mir vorwirft, ich hätte ihn anlässlich seiner Äußerungen zu China, das EU Waffenembargo solle aufgehoben werden, daran erinnert, dass der BUndestag anderer Meinung war. uN din der Tat: Das habe ich gesagt, weil wir im Bundestag im Oktober 2004 mit allen Fraktionen (also auch der geschlossenen Fraktion der SPD) einen Beschluss unterstützt haben, wonach das EU-Waffenembargo derzeit nicht aufgehoben werden soll. Nicht ich war also der Dissident, sondern ich habe nur den einstimmigen Beschluss des BUndestages in Erinnerung gerufen. Über den eigentlichen Grund kann ich auch nur rätseln.
Moderator: Ehrt es sie nicht persönlich ein wenig, dass Sie der Grund sein sollen, dass der Kanzler Neuwahlen ausruft?
Hans-Christian_Stroebele: Das ist zu viel der Ehre. Es mag ja sein, dass sich der Kanzler manchmal über mich geärgert hat. Doch muss man deshalb nicht gleich die Koalition auflösen und Neuwahlen anstreben. Es gäbe noch so viel Gutes zu tun!
Moderator: Frage von perrim1 an Hans-Christian Ströbele:    "warum haben die linken in der SPD und bei den grünen schröder das vertrauen nicht schon bei hartz4 entzogen, es war doch absehbar, das die union im bundesrat die durchgesetzten verbesserungen wieder streichen würde"
Hans-Christian_Stroebele: Ich habe mit einigen KollegInnen aus der SPD und auch aus den Grünen letztlich gegen die Hartz4-Gesetze im Bundestag gestimmt. Obwohl ich Reformen grundsätzlich für dringend notwendig halte. Inzwischen sind ja von beiden Koalitionsparteien auch so viele Änderungen an den Hartz4-Gesetzen gefordert und in die Wahprogramme geschrieben worden, dass wir uns nachträglich bestätigt sehen.
Moderator: So, jetzt drei Fragen auf einmal, die aber allesamt zusammen gehören:
Moderator: Frage von Trotz alledem! an Hans-Christian Ströbele:    "Herr Stroebele, teilen Sie die Missachtung, die Ihrem Parteifreund Werner Schulz entgegenschlug, nachdem er das Procedere um die Vertrauensfrage kritisiert hat ?"
Moderator: Frage von Atarax an Hans-Christian Ströbele:    "Erwägen sie verfassungsrechtliche Schritte, wie ihr Kollege Schulz?"
Moderator: Frage von Flemming an Hans-Christian Ströbele:    "Ihr Parteikollege Schulz durfte beim Parteitag nicht Reden. War es wegen der Kritik an Herr Schröder und den Neuwahlen der hatte es einen anderen Grund?"
Hans-Christian_Stroebele: Also, ich teiel die Kritik von Werner Schulz an dem Prozedere für die Neuwahlen sehr weitgehend. Das habe ich ihm auch immer wieder gesagt und auch öffentlich seit der Wahlnacht in NRW am 22.Mai geäußert. Die Rede von Werner Schulz im BUndestag ging aber mit dem Volkskammer-Vergleich zu weit. Diesen Vergleich habe ich für falsch und dem Anliegen abträglich bewertet. Eine Anrufung des BVG durch mich habe ich von Anfang an ausgeschlossen, weil ich der Mienung war, auf diesen Vorschlag des Kanzlers muss politisch reagiert werden und nicht mit einem Gerichtsverfahren, dessen Ausgang ja auch von juristischen Unwegbarkeiten abhängt. Werner Schulz hatte keineswegs ein Verbot auf dem grünen Parteitag zu reden, nur war er nicht wie viele andere auch ein gesetzter Redner. So bleibt es dem Zufall überlassen, ob er im Losverfahren gezogen wurde. Auch ich selbst habe mehrfach versucht schon in der Generaldebatte zu Wort zu kommen. Ich wurde aber nicht per Los gezogen. Ich weiß gar nicht, ob Werner Schulz eine Wortmeldung in den Loskasten geworfen hat. Jedenfalls hätte er das tun können und auch gelöst werden können. Für mich blieben auf dem Parteitag ganze 3 Minuten Redezeit, aber auch nur, zu meinem speziellen Fachthema der BürgerInnenrechte. Gerne hätte ich mich zu Hartz 4, Spitzensteuer und Vermögensteuer noch geäußert.
Moderator: Ist es nicht sogar so, dass der Antrag bzgl. der Quotierung der Wahlkampfspitze eigentlich auch von Werner Schulz kam oder mitinitiiert wurde und nur deswegen nicht von ihm vorgestellt wurde, damit dieses Anliegen nicht gleich "negativ" bei den Delegierten ob seiner kürzlichen Bundestagsrede ankommt? (so wurde es jedenfalls in den Medien berichtet)
Hans-Christian_Stroebele: Die Auswahl der Rednerinnen und Redner für den Antrag des Kreisverbands Pankow oblag ganz alleine den AntragstellerInnen. Wenn sie Werner Schulz benannt hätten, hätte er selbstverständlich reden können. Ich weiß nicht, ob sie ihn gefragt haben, ob er reden will.
Moderator: Frage von RPatz an Hans-Christian Ströbele:    "Hat sich nach Ihrem Empfinden nach der Vertrauensfrage das Klima innerhalb ihrer Fraktion und/oder der Koalition merklich verändert?"
Hans-Christian_Stroebele: Feststellungen dazu konnte ich kaum noch treffen, weil danach keine Fraktionssitzung, sondern nur noch ein Empfang stattfand. An diesem konnte ich selbst nicht mehr teilnehmen. Soweit ich mit Kolleginnen und Kollegen gesprochen habe wurde die Kritik von werner Schulz inhaltlich durchaus von einer ganzen Reihe geteilt. Nur die Art der Darstellung traf auf weniger Zuspruch. Viele fühlten sich persönlich durch den Volkskammer-Vergleich verletzt, weil ihnen damit unterstellt wurde, dass sie sich wie die Volkskammer-Abgeordneten verhalten und einer Parteimeinung unterworfen hätten.
Moderator: Um das Thema Vertrauensfrage/Neuwahlen/Parlamentsauflösung dreht sich folgendes Fragen-Trio:
Moderator: Frage von horschd an Hans-Christian Ströbele:    "Wenn die Vertrauensfrage für ungültig erklärt wird, glauben Sie, dass es dann zu einem Rücktritt von Gerhard Schröder kommen wird? Wenn ja, wer wird dann ihrer Einschätzung nach Kanzler?"
Moderator: Frage von MINOS an Hans-Christian Ströbele:    "Gerade wegen der unklaren juristischen Lage - gibt es im GG nicht ausreichend Möglichkeiten für eine Auflösung des BT, so dass es eines Recht auf Selbstauslösung nicht bedarf?"
Moderator: Frage von Thetos an Hans-Christian Ströbele:    "Halten Sie es für sinnvoll, dass der Bundestag das Recht bekommt sich selbst mit 2/3-Mehrheit aufzulösen?"
Hans-Christian_Stroebele: Was passiert, wenn die Neuwahlen gestoppt werden, weiß ich auch nicht. Über Reaktionen des Kanzlers kann ich auch nur spekulieren. Aber ich gehe davon aus, dass dann die Mehrheit im Bundestag eine Regierung unterstützt, die bis zum Ende der Legislaturperiode weiter regiert. Ob es einen Nachfolger von Gerhard Schröder als Kanzler geben würde, oder wer das sein könnte, weiß ich wirklich nicht. Ein Selbstauflösungsrecht des Bundestages halte ich nicht für richtig. Das ist vom GG zurecht nicht gewollt. Der Bundestag ist verpflichtet aus seiner Mitte heraus neue Mehrheiten zu bilden, wenn es für die bisherige m´nicht mehr das notwendige Vertrauen gibt. Das Selbstauflösungsrecht würde einer Bundestagsmehrheit die Möglichkeit verschaffen, immer dann Neuwahlen anzusetzen und sich für neue Legislaturperioden zu sichern, wenn die Umfragen gerade mal gut stehen. In England haben wir ähnliches gerade erlebt, der Premierminister hat Neuwahlen angesetzt und gewonnen zu einem Zeitpunkt, wo es wirtschaftlich gut aussah und er mit einer erneuten Mehrheit rechnen konnte. Solche Gefahren könnten auch nicht dadruch verhindert werden, dass die Auflösung sogar eine 2/3-Mehrheit oder 3/4-Mehrheit beschlossen werden kann. Denn eine Opposition wird sich einem Begehren der regierung auf Neuwahlen kaum verweigern können, da sie ja jede Gelegenheit nutzen müsste, selbst zu einer Merheit zu kommen. Anderfalls würde sie sich ja zeitweise selbst aufgeben.
Moderator: Aber warum sollte das auf Bundesebene nicht klappen, was auf Landesebene anscheinend kein Problem darstellt? Auf Landesebene sind ja teilweise Parlamentsauflösungen möglich und man hat dort weder englische (wir wählen wann es der Regierung passt), noch italienische (andauernd neue Regierungen) noch Weimarer Verhältnisse.
Moderator: Zwischendurch eine administrative Frage Herr Ströbele: Wir haben noch viele weitere Fragen. Daher die Frage: Könnten Sie ggf. noch 10-15 Minuten anhängen?
Hans-Christian_Stroebele: Es istb richtig, dass es das Selbstauflösungsrecht für einige Parlamente gibt. Über die Erfahrungen im Einzelnen habe ich keine Kenntnis. Aber ich gehe davon aus, dass die Probleme auf Bundesebene unvergleichlich andere sind. Weil die Einfluss- und Machtmöglichkeiten auf Bundesebene doch wesentlich größer sind und damit auch für die nationale und internationale Politik bedeutsamer ist, wer regiert und dadurch ist auch die Versuchung größer, Möglichkeiten die Machtausübung zu verlängern, zu nutzen. Es kommt ja nicht so häufig vor, dass ein Bundeskanzler ohne größere Not vorzeitig Neuwahlen ansetzen lassen will, in einer Situation, in der alle Umfragen eher eine Niederlage prophezeihen.
Moderator: Ansonsten stelle ich schnell die Fragen zur vorgezogenen Bunedstagswahl (so sie denn kommt) hinein...
Hans-Christian_Stroebele: Nein, leider nicht. denn ich habe bereits um 19 Uhr einen anderen Termin in meinem Wahlkreis. Aber vielleicht kommen wir noch ein andermal zusammen, bin gerne bereit, das hier zu wiederholen!
Moderator: Okay... dann eine letzte Frage noch:
Moderator: Frage von tafkaf an Hans-Christian Ströbele:    "Wer wäre ihnen den eigentlich als Koalitionspartner lieber, wenn sie nur die Wahl zwischen PDS/WASG, FDP und CDU hätten? *g*"
Moderator: Ich bedanke mich schon jetzt für Ihre Bereitschaft beim Chat mitzuwirken. Ich werde gleich ihr Büro wg. eines weiteren Termins anschreiben - und ich kann Ihnen bestätigen: So voll wie das dol2day-Zelt bei Berlin05 bei Ihrer Podiumsdiskussion war, so voll ist hier der Zuschauerraum des Chats (im Verhältnis gesehen)...
Hans-Christian_Stroebele: Für mich ist die Frage nach Koalition nicht eine rechnerische, sondern eine inhaltlich politische. Und da sehe ich derzeit keiner der genannten Parteien so viel Übereinstimmungen und Zuverlässigkeit, dass eine gemeinsam vereinbarte Politik dann auch umgesetzt wird, dass ich mich für eine dieser Varianten entscheiden könnte.
Hans-Christian_Stroebele: Wir hoffen auf einen warmen Sommer und einen grünen Herbst! Vielen Dank für die Fragen und einen schönen Abend wünsche ich noch !
Moderator: Dann danke ich Ihnen jetzt und bis demnächst!
: Hans-Christian_Stroebele hat den Raum verlassen
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Moderator: Danke auch an die Fragesteller - ich habe die Fragen alle noch gespeichert, bei einem weiteren Termin könnten diese dann behandelt werden.
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