Chat-Transkript vom 08.06.2004

Sahra Wagenknecht, Kandidatin der PDS-Europaliste

Thema: Quo Vadis – Europa?

: Moderator hat den Raum verlassen
: marillion_(ksp) hat den Raum betreten
: Moderator hat den Raum betreten
Moderator: Hi, Oliver hier
Moderator: Test test
marillion_(ksp): Rotfront, hier marillion
Moderator: hi
Moderator: klappt was mit dem einloggen nicht?
marillion_(ksp): d.h. Hi Genosse marillion!
marillion_(ksp): bei mir ging es ohne Probleme
marillion_(ksp): rufst du grad an?
Moderator: Nein, ich habe die Nummer nicht. Kannst du das machen?
Moderator: Hallo schonmal an alle Mitleser! :)
Moderator: Frage von Feyerabend an Sahra Wagenknecht:    "Hallo! :-)"
marillion_(ksp): geht niemand hin
Moderator: Frage von PWolfowitz an Sahra Wagenknecht:    "Wann geht es denn los?"
Moderator: Mmmh, sobald Sahra da ist. Ich weiss nichts genaues leider...
Moderator: gleich gehts los
: Sahra_Wagenknecht hat den Raum betreten
Moderator: Hallo Sahra :) Mein Name ist Oliver, ich werde heute moderieren.
Sahra_Wagenknecht: Hallo an alle!
Moderator: Kannst Du Dich kurz vorstellen bitte?
Sahra_Wagenknecht: Bin Mitglied im Parteivorstand der PDS und kandidiere auf der PDS-Liste zum EU-Parlament. Schreibe außerdem z.Z. meine Diss. in Volkswirtschaftslehre. Wer mehr wissen möchte: www.sahrawagenknecht.de.
Moderator: Frage von Raider an Sahra Wagenknecht:    "Frau Wagenknecht, wie sollte ein Europa in ihren Augen aussehen? Welche Kompetenzen, etc?"
Moderator: Farbwechsel :)
marillion_(ksp): Hallo! Mein Name ist Erkan Dinar und bei der PDS Weißenburg. Bei Dol2day bin ich in der Regierung
Sahra_Wagenknecht: Ich will mich vor allem im Bereich Wirtschafts- und finanzpolitik einbringen. Auch hier sind meines Erachtens Alternativen dringend notwendig. Das heutige Europa ist vor allem als Wirtschaftsunion konstituiert, die großen Konzernen möglichst einheitliche Bedingungen bieten will, um optimale Profite zu machen. Die Frage einheitlicher Sozialstandards auf oberem Niveau, einheitlicher Mindestlohnstandards usw. wurde bisher bewußt ausgeklammert. Ich meine, wir brauchen in Europa keinen zunehmend entfesselten Kapitalismus nach US-amerikanischem Vorbild. Wir müssen dem Kapital soziale Rechte wieder abringen. Dafür will ich mich engagieren. Im Parlament und natürlich in enger Zusammenarbeit mit der außerparlamentarischen Bewegung.
Moderator: Frage von Raider an Sahra Wagenknecht:    "Frau Wagenknecht, hielten sie einen Ausbau der gemeinsamen EU-Sicherheits- und Verteidungspolitik für sinnvoll?"
Sahra_Wagenknecht: Nein, ich hielte eine gemeinsame europäische Friedens- und Abrüstungspolitik für sinnvoll. Aber nicht den Ausbau der EU zur militarisierten, kriegsfähigen Union. Darauf aber läuft z.B. der Verfassungstext hinaus, den ich deshalb ablehne und den ich noch zu verhindern versuchen werde.
Moderator: Frage von Jörg-CGN an Sahra Wagenknecht:    "Bundesweit wird über eine neue Linkspartei, bzw. dem Aufbau einer neuen Arbeiterpartei diskutiert - links von der PDS, die für die meisten keine Rolle mehr spielt. Welche Perspektiven hat die PDS überhaupt noch nach ihrem Rechtsruck in Programm und Praxis?"
marillion_(ksp): Sahra, Schröder hat ja vor einigen Wochen einen Mindestsatz auf Körperschaftssteuern verlangt. Ist diese Initiative nicht zu spät bzw. populistisch von ihm?
Sahra_Wagenknecht: Zum Mindeststeuersatz von Schröder: Das ist pure Heuchelei. Die rot-grüne Bundesregierung hat sich selbst ums Steuerdumping verdient gemacht durch eine Steuerreform, die Konzernen Milliarden geschenkt hat. Auch Engagement für eine europäische Harmonisierung der Steuersätze hätte längst erfolgen können. Da kam aber nichts und nach dem 13.6. wird sich das Thema für Schröder wohl auch wieder erledigt haben.
Sahra_Wagenknecht: Zur Linkspartei: Ich meine nicht, daß die PDS "für die meisten" keine Rolle mehr spielt. Sie ist trotz aller Kritik, die man im einzelnen an ihrer Politik, insbesondere auf Landesebene, anbringen kann, die einzige bundesweite Partei, die die Agenda 2010 konsequent und von Beginn an abgelehnt hat und die sich gegen diese Verfassung des Militarismus und Neoliberalismus engagiert. Wir werden mit einer neuen Linkspartei, so sie sich gründet, natürlich zusammenarbeiten. Aber niemand sollte Schröder den Gefallen tun wollen, daß bei der nächsten Bundestagswahl zwei relevante Parteien links von der SPD um Stimmen konkurrieren und am Ende beide scheitern.
Moderator: Frage von Irredenta an Sahra Wagenknecht:    "Hallo Sahra!:-) Wie bewertest Du persönlich die Aussichten einer Politik der Fixierung auf den Arbeitsfetisch als der sozialen Zugehörigkeitskategorie des Menschen zur Gesellschaft, wie sie auch und gerade von der PDS vertreten und propagiert wird, in Zeiten einer unübersehbaren Krise der Arbeitsgesellschaft im Zuge der 3. industriellen Revolution?"
Sahra_Wagenknecht: Wir sind nicht auf den "Arbeitsfetisch" fixiert. Aber dennoch halte ich die These für falsch, daß "uns die Arbeit ausgehe..." Es geht vielmehr um Umverteilung der vorhandenen Arbeit durch strikte Arbeitszeitverkürzung. Und bitteschön bei vollem Lohnausgleich. In dem Kontext hat die Forderung "Arbeit für alle" natürlich nach wie vor ihre Berechtigung.,
Moderator: Frage von PWolfowitz an Sahra Wagenknecht:    "Wie kann man denn ohne Militär Diktatoren zum Frieden zwingen?"
Moderator: Frage von Znerol an Sahra Wagenknecht:    "Frau Wagenknecht, Sie sprechen von einer militarisierten, kriegsfähigen Union. Warum sind Sie gegen eine gutausgebildete EU-Eingreiftruppe, welche zum Beispiel das Desaster auf dem Balkan verhindern könnte?"
Sahra_Wagenknecht: Gegenfrage: Will Bush etwa "Diktatoren zum Frieden zwingen"? Wenn ja, weshalb rüsten USA und auch EU sie dann vorher üppig mit Geld und Waffen aus. So geschehen sowohl im Irak als auch zuvor mit den Taliban in Afghanistan. Das Gerede vom Kampf gegen Diktatoren und Terror ist doch pure Heuchelei. Es geht um strategische Wirtschaftsinteressen, um den Zugriff auf Rohstoffe.
Moderator: Frage von Arioch an Sahra Wagenknecht:    "Wie sollte sich Europa im Verhältnis zu den USA positionieren, etwa in der Frage internationaler Militäreinsätze, des Entscheidungsmonopols des Weltsicherheitsrates für solche Einsätze? Sollte Europa eine eher konfrontative oder eine eher kooperative Linie verfolgen?"
Moderator: Frage von SungZi an Sahra Wagenknecht:    "Rohstoffe im Kosovo???"
Sahra_Wagenknecht: Auch auf dem Balkan hilft nicht Militär, sondern vor allem helfen würde wirtschaftliche Entwicklung und sozialer Ausgleich. Dafür sollte die EU sich einsetzen. Die Idee, daß man die welt durch Waffen sicherer macht, halte ich für aberwitzig.
Moderator: Frage von Znerol an Sahra Wagenknecht:    "Frau Wagenknecht. Ich finde es nicht fair, meine Frage mit einer simplen Gegenfrage abzutun. Was bitte hat die Politik von Bush mit dem Bürgerkrieg in den 90er aur dem Balkan zu tun?"
Sahra_Wagenknecht: Ihre Frage war doch gar nicht auf den Balkan bezogen, sondern auf den "Kampg gegen Diktatoren" allgemein. Das war eines der Scheinargumente - neben der Lüge der Massenvernichtungswaffen - mit denen der Angriffskrieg auf den Irak gerechtfertigt wurde. Aber auch wenn wir auf dem Balkan bleiben: Haben sich die Lebensverhältnisse der Menschen dort etwa durch die Bomben verbessert?
Moderator: Frage von ThomasD an Sahra Wagenknecht:    "@SungZi: Etwas viel wichtigeres für den kapitalismus: Absatzmärkte!!!"
Moderator: Frage von SungZi an Sahra Wagenknecht:    "Deutsche Unternehmen hatten die jugoslavwsche Wirtschaft doch schon seit Anfang/Mitte der 80er komplett im Griff. Um Absatzmärkte oder sonstige Wirtschaftsinteressen kann es also nicht gegangen sein."
Moderator: Frage von Olifaktor an Sahra Wagenknecht:    "@ThomasD: Der Balkan ist als Absatzmarkt völlig unbedeutend."
Moderator: Vielleicht könnten sich die Fagesteller mal einigen ;-)
Moderator: Frage von cycokan an Sahra Wagenknecht:    "Wo sind die konkreten, sofort wirksamen Alternativen für die jetzige Welt, so wie sie eben hier und nun konkret ist? Utopie ist ja was feines, aber aktive Politiker, aktive Entscheidungsträger müssen doch täglich Lösungen für heute anbieten. Warum soll ich sie wählen, mit einer heren Utopie für die Zukunft aber nichts greif- und um- und durchsetzbaren für die nächste Legislatur des EU Parlamentes?"
Sahra_Wagenknecht: Nein, hatten sie eben nicht. Das war auch in der Wirtschaftspresse offen diskutiert worden: Daß es um die Öffnung der jugoslawischen Märkte gehe und eines der "Verbrechen" der damaligen jugoslawischen Regierung bestand in den Augen deutscher Wirtschaftslenker darin, daß sie ihnen eben nicht Kernbereiche der jugoslawischen Wirtschaft zum Niedrigtarif ausverkaufte, wie das in anderen osteuropäischen Ländern geschah. Erst nach 1999 ist dann auch Jugoslawien bedingungslos auf Neoliberalismus getrimmt worden.
Sahra_Wagenknecht: Die Frage einer Europäischen Sozialunion ist keine utopische. Wie stark der Kapitalismus sozial gebändigt werden kann, hängt von der Stärke der Gegenbewegungen ab. Möglich ist das sehr wohl, auch wenn es die Debatte über eine nicht mehr kapitalistische Perspektive nicht erledigt.
Moderator: Frage von Michel_ an Sahra Wagenknecht:    "Sehr geehrte Frau Wagenknecht, im Jahre 2001 haben Sie noch behauptet, daß die Menschen, die den Todesschuß an der Mauer befohlen haben, nicht strafbar gehandelt haben. Wie möchten sie mit so einer Aussage glaubwürdig in das EU Parlamenrt gewählt werden?"
Sahra_Wagenknecht: Da geben sie mal die Quelle an! Im Übrigen: Die Prozesse gegen führende DDR-Vertreter sollten vor allem den Versuch einer antikapitalistischen Alternative delegitimieren; das war der Zweck. Da ging es nicht um die Mauer. Und ich vermisse auch sehr die Empörung derjenigen, die sich über das DDR-Grenzregime entrüsten, angesichts der Mauern, die die "Festung Europa" heute an ihren Außengrenzen errichtet.
Moderator: Frage von Stan! an Sahra Wagenknecht:    "Ein anderes Thema: Wie steht eigentlich die PDS zur Aufnahme der Türkei, bzw. wo sieht sie die Grenzen Europas?"
marillion_(ksp): Übrigens seit 1993 sind mehr als 1000 Menschen an den EU-Außengrenzen umgekommen sowie auch bei Abschiebemaßnahmen getötet worden
Sahra_Wagenknecht: Ich sehe die EU nicht als christlich-religiösen Club. Deshalb finde ich die CDU-Kampagne gegen die Türkei-Aufnahme demagogisch. Eine andere Frage ist die politische Situation innerhalb der Türkei. Solange dort Menschen wegen ihrer politischen Gesinnung im Gefängnis sitzen müssen und linke Parteien verboten sind, solange dort gefoltert wird, hat die Türkei in der EU tatsächlich nichts zu suchen. Denn das wäre eine Legitimierung dieser Situation und würde die Standards in der gesamten EU weiter nach unten zerren.
Moderator: Frage von Jolli2k an Sahra Wagenknecht:    "Frau Wagenknecht, wie sehen Sie die Chancen der PDS bei der Europawahl 2004? Können die 5,8 % von 1999 wiederholt oder sogar überboten werden?"
Moderator: Frage von Gittfinger an Sahra Wagenknecht:    "Wie schätzen Sie ihre Chancen bei den Europawahlen ein, in Hinblick auf die Wählerstimmen in den alten Bundesländern?"
Moderator: Frage von ProGruen an Sahra Wagenknecht:    "Ist ein Wiedereinzug der PDS ins Europaparlament Ihrer Meinung nach überlebenswichtig für die Partei?"
Sahra_Wagenknecht: Ich reise ja jetzt seit über zwei Monaten zu Wahlveranstaltungen durchs Land und hatte viele insbesondere in den alten Bundesländern. Ich bin auf sehr viel Interesse gerstoßen. Ich denke schon, daß es sogar ein ziemlich großes Spektrum von Menschen gibt, die den neoliberalen Einheitsbrei der Schröder/Merkel und Co satt haben und unsere Forderungen teilen. Insofern bin ich schon optimistisch. Und es stimmt natürlich: Der Wiedereinzug ist schon sehr wichtig für die PDS, weill sie sich dadurch bundespolitisch als linke Partei zurückmelden und dann auch hierzulande wieder mit größerer Öffentlichkeit gegen diesen sozialen Crashkurs engagieren kann.
Moderator: Frage von Stan! an Sahra Wagenknecht:    "Wollen sie ernsthaft die Schengen-Außengrenze mit der Mauer vergleichen?"
Moderator: Frage von Znerol an Sahra Wagenknecht:    "Frau Wagenknecht, mit Verlaub, sie haben die Frage von Michel_ bezüglich der Mauerschüsse nicht beantwortet sondern weichen aus"
Moderator: Frage von Michel_ an Sahra Wagenknecht:    "Die Quelle, liebe Frau Wagenknecht, ist eine Fernsehsendung! Außderdem bin ich der Meinung, daß das Erschießen UNschuldiger an der Mauer ein verbrechen ist, egal welchen angeblichen Hintergrund es hat. Sehen Sie das anders?"
Moderator: Frage von cycokan an Sahra Wagenknecht:    "So schlimm die Vorfälle an den EU Aussengrenzen sind, sp wenig sind sie mit der Mauer zu vergleichen, oder? Es war ja wohl so, dass die DDR niemanden rauslassen wollte, im Gegensatz zur EU, die nicht jeden reinlassen will."
Moderator: Frage von Michel_ an Sahra Wagenknecht:    "@Marillion: Entschuldigt das vielleicht den Befehl zum Todesschuß irgendwie?"
Moderator: Nur, um alle Meinungen zu Gehör zu bringen ;-)
Sahra_Wagenknecht: Der Unterschied ist, daß die eine nach Innen und die andere nach Außen gerichtet ist. Ich weiß aber nicht, warum ich letzteres humaner finden soll. Zumal es hier darum geht, Menschen fernzuhalten, die aus schlimmster Not, oft auch aus Kriegsregionen, fliehen.
Moderator: Frage von Jörg-CGN an Sahra Wagenknecht:    "Die PDS hat sich dem Formierungsprozeß der Europäischen Antikapitalistischen Linken (EAL) verweigert. Wie stehen Sie dazu?"
Sahra_Wagenknecht: Es haben Gliederungen der PDS durchaus Beobachterstatus in der EAL. Also Verweigern würde ich das nicht nennen. Außerdem ist in Rom eine Europäische Linkspartei gegründet worden. Ich halte es für wichtig, diese zu verbreitern und zu stärken.
Moderator: Wir müssen dann langsam zum Ende kommen. Ich stelle also die letzte Frage.
Moderator: Frage von Rataxas an Sahra Wagenknecht:    "Warum ist der Neoliberalismus solch ein Feindbild für Sie?"
marillion_(ksp): Sahra, Otto Schily hat die 3-Staaten-Regelung auf EU-Ebene durchgeboxt. Dadurch kann die EU nun MEnschen in Drittstaaten wie Marokko (Westsahara), Türkei (Kurdistan) oder auch Rußland (Tschetschenien( abschieben. Welchen Rechtsstatus haben Flüchtlingen überhaupt in diesen Ländern
Sahra_Wagenknecht: Neoliberalismus: Weil er dazu führt, daß immer mehr Menschen sozial ausgegrenzt und in Armut gedrängt werden. Weil viele, selbstr wenn sie Arbeit haben, inzwischen nicht mehr von ihren Einkommen leben können, während am oberen Ende unendlich abgesahnt wird. Weil das neoliberale Modell genau diese Kontraste immere mehr vergrößert und im globalen Maßstab ohnehin für die schlimmsten sozialen Verbrechen verantwortlich ist. Man sollte nicht vergessen: Es ist auch dieses neoliberale Paradigma, das den IWF bei seinen Diktaten leitet.
Sahra_Wagenknecht: Danke für die spannende Debatte! Muß jetzt leider schon wieder weiter. Tschüß an alle!
Moderator: Ich bedanke mich an dieser Stelle für Dein Kommen und bei allen Fragestellern und natürlich bei marillion für die Organisation. Leider war es mal wieder zu wenig Zeit, zu viele Fragen und das Manko eines Chats, keine "echten" Argumente austauschen zu können. Ich hoffe, es hat trotzdem Spass gemacht :)
marillion_(ksp): bis bald
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