Chat-Transkript vom 23.05.2002

Heike Kühn, Filmkritikerin und Publizistin, Frankfurt/Main

Thema: Frauen unter der Burka

Vortrag am 12.Mai 2002 in Nürnberg

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: heike_kühn hat den Raum betreten
heike_kühn: Hallo Oliver, Hallo Christoph, bin etwas zu früh
: Christoph_Erlenkamp hat den Raum betreten
Christoph_Erlenkamp: Hallo allerseits.
heike_kühn: Sind schon alle da ? Na, dann: Guten Abend
Christoph_Erlenkamp: Wir warten noch auf den Moderator, aber der kommt auch bestimmt in Kürze.
heike_kühn: Es ist noch seltsamer als ich es mir vorgestellt habe... es ist, als müsste man zwischen den Zeilen lesen.
Christoph_Erlenkamp: Das ist alles Gewöhnungssache... Ich hoffe nur, der Moderator kommt gleich, denn nur er kann Fragen der Nutzer an Sie weiterleiten.
Christoph_Erlenkamp: Für gewöhnlich fangen die Chats immer mit einer kurzen Vorstellungsrunde an. Während wir warten, mache ich vielleicht schon einmal den Anfang: Mein Name ist Christoph Erlenkamp. Ich gehöre zum Organisationsteam der Reihe "Politik und Terror" und möchte Heike Kühn und alle anderen Teilnehmer am heutigen Chat im Namen der Bundeszentrale für poltische Bildung ganz herzlich begrüßen. Frau Kühn, wären Sie auch so nett, sich kurz vorzustellen?
: Moderator hat den Raum betreten
Moderator: Guten Abend, Entschuldigung für die Verspätung.
heike_kühn: Guten Abend. Ich bin Filmkritikerin, arbeite freiberuflich für FR, epd-film, HR 2, Die Berliner Zeitung. Außerdem bin ich Prüferin der FSK (Freiwillige Selbstkontrolle Film) und ihres Pendants, der FSF (Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen). Das heißt, ich sehe die schönsten Filme, Filme, die oft nur auf Festivals gezeigt werden, aber leider auch den hässlichen rest.
Moderator: Ich möchte euch natürlich auch herzlich begrüssen. Mein Name ist Oliver, ich werde den Chat moderieren.
heike_kühn: Gibt es jemand, dem ich schon mal meine geliebten iranischen Filme ans Herz legen könnte ?
Moderator: Fangen wir mit einer Frage an: Du als Filmkritikerin befasst Dich sicherlich auch mit Filmen aus islamischen Ländern, bzw. Afghanistan. Welche Unterschiede zu europäischen Filmen gibt es und wie werden die Frauen in diesen Filmen dargestellt?
heike_kühn: Der iranische Film zum Beispiel hat sich lange Zeit darauf beschränkt, Kinder als Protagonisten einzusetzen, weil Frauen nicht in allen Lebenslagen gezeigt werden durften. Mohsen Makhmalbaf hat sich, wenn er mit Frauen drehte, darauf einlassen müssen, nicht in Innenräumen zu drehen, schon gar nicht, wenn dabei ein Mann mit einer Frau alleine gewesen wäre. In iranischen Filmen wird man Frauen nie ohne Kopftuch sehen. anz anders im algerischen Filmschaffen oder im ägyptischen. Da gibt es ein Spiel mit den Kopftüchern, das den Reglen trotzt. So nehmen Frauen ihr Tuch ab, sobald sie die Tür hinter sich verschlossen haben oder ziehen es nur wieder hoch, gerade in algerischen Filmen, wenn Gefahr von Seiten der selbsternannten Heilsterroristen droht, die durch die Strassen streifen. In >Der Kreis<, einem Film von Jafar Panahi, der sich mit dem abu der Prostitution im Iran auseinandersetzt, kann besonders gut sehen, wie das Kopftuch das Gesichtsfeld der Frauen einengt:Auch ihr Blick wird durch das Kopftuch genötigt, sich im Kreis zu drehen.
Christoph_Erlenkamp: Im Islam gibt es doch traditionell bestimmte Verbote gegenüber der bildlichen Darstellung von Personen. Sind aus diesen Gründen Regisseure und Regisseurinnen in islamischen Ländern auch heute noch generell der Kritik ausgesetzt?
heike_kühn: Nein. Das Verbot gilt eher der Art der Darstellung - und der Kameraperspektive. Das Dänische Dogma, das den Protagonisten unter die Haut kriecht, bis man das Gefühl hat, die Kamera sei, etwa in Too much flesh, selbst am Liebesakt beteiligt, ist in islamischen Ländern undenkbar.
Moderator: Warum werden besonders viele iranische filme bei filmfestspielen ausgezeichnet? Steckt eine politische Intention der Organisatoren/Jury dahinter - will man systemkritische Filme fördern, oder sind die Filme künstlerisch besonders wertvoll?
heike_kühn: Keine Politik, diese Filme sind ungeheuer phantasievoll. Sie nutzen den spärlichen Freiraum, indem sie auf die Metaphern der persischen Lyrik zurückgreifen. Im iranischen Filmschaffen gibt es die Hohe Kunst der Anspielung. Zum Beispiel werden oft Brunnen ausgehoben, in denen die Helden förmlich versinken. Sie arbeiten im Dunkeln, das Mädchen, das ihnen (wie in Abbas Kiarostamis Film >Der Wind wird uns tragen<) einen Kruf Milch hinstellt, bekommen sie nie zu Gesicht. So wird das Verbot, sich unverheirateten Frauen zu nähern, zur Bildsprache.
Moderator: Frage von EUREKA an Heike Kühn:    "Wie würden Sie die Aussage bewerten, dass muslimische Mädchen, die in Europa leben, sich freiwillig verschleiern bzw. mit Kopftuch bedecken? Kann man das wirklich als freiwillig bezeichnen? Meiner Ansicht nach würde der Ausdruck "gründliche Gehirnwäsche" eher passen...."
heike_kühn: Sehr schwierig zu beurteilen. Einerseits gibt es den Druck, der von den Familien ausgeht, nach wie vor. Gerade junge Mädchen haben da wenig Chancen, sich zu wehren. Andererseits habe ich Intellektuelle erlebt, die sich bewußt verschleierten, weil es ihnen, zumal als Geschäftsfrauen, auch einen Schutz gegenüber aufdringlichen Konkurrenten bot. Ich glaube, entscheidend wäre, jedes Mädchen, jede Frau zu fragen, ob sie sich verschleiern will, was sie damit bezweckt.
Moderator: Wenn Du in islamische Länder reist: Wie empfindest Du persönlich den Zwang, der in einigen dieser Länder herrscht, Kopftücher zu tragen?
Moderator: Und in welchen Ländern herrscht eine gesetzliche Pflicht?
heike_kühn: Ich fühle mit den Frauen, die das Kopftuch für Zwang und Schikane halten. Dabei steht im Koran nichts von Verschleierung. Ursprünglich waren die Schleier den Frauen des Propheten vorbehalten, so konnten sie von anderen Frauen unterschieden werden. Von der Burka, dem Ganzkörpergefängnis für afghanische Frauen, steht schon gar nichts im Koran. Gesetzliche Pflicht: Iran, Irak, bislang noch Afghanistan. In Algerien wird man besser durchkommen, aber man beugt sich den Fundamentalisten, die das Land terrorisieren.
Moderator: Frage von Leatherface an Heike Kühn: Sind Männer ähnlichen Repressionen ausgesetzt? Soweit mir bekannt dürfen in einigen Ländern Männer z.B. keine kurzen Hosen tragen.
heike_kühn: Haben Sie die Männer gesehen, die sich den Journalisten nach dem Sieg über die Taliban mit rasiertem Kinn präsentierten ? In Afghanistan waren Männer gezwungen, sich einen Bart wachsen zu lassen. Kurze Hosen kommen höchstens in Ägypten infrage, aber Sie werden das selten sehen.
Moderator: Frage von Vector an Heike Kühn:    "Frau Kühn, Sie haben eben im Zusammenhang von Abbas Kiarostamis Film "Der Wind wird uns tragen" von einer Bildsprache gesprochen, die über bildliche Metaphern das auszusprechen gestattet, was nicht anders zu zeigen erlaubt ist und vielleicht auch nicht zu sagen erlaubt ist. Doch in wie weit wird diese Bildsprache von den Bewohnern islamischer Länder verstanden? Ist das Verständnis solcher Anspielungen auf eine kleine Oberschicht beschränkt?"
heike_kühn: Erstaunlicherweise nicht. Im Iran gibt es eine lange tradition der indirekten Rede, die persische Lyrik ist in Form von Gesängen auch im Volk weit verbreitet. Sänger galten als die Fürsten unter den Künstlern, es gab Wettbewerbe, die legendär sind. Nun hat die moslemische Revolution Vieles verboten, auch den Frauen das Singen und Musizieren, doch die Lieder werden weiter verbreitet. Aus diesen Liedern und Versen kennt jeder die Symbolik, die der iranische Film nutzt. Ein Baum steht zum Beispiel oft für Freundschaft. Wenn nun Abbas K. in >Der Geschmack der Kirsche< einen einsamen Menschen zeigt, der auf der Suche nach jemand ist, der ihn umbringt (eine Todsünde), sieht man einen abgestorbenen Baum auf einem großen leeren Platz. Und später ist dann von einem Kirschbaum die Rede, und vom Geschmack der Kirschen, die den Lebensmüden ins Leben zurückholen. Nicht Gott, nicht Familie, nicht Pflicht, nicht Gewissen, sondern der Geschmack des Lebens.
Moderator: Frage von chipsatz: Seit wann befassen Sie sich intensiv mit der Thematik? Haben Sie ein Lieblingsland, in das Sie reisen? Welches und warum dieses?
Moderator: Kurzer Hinweis @Dr.Brenner: Deine Frage passt zum einen überhaupt nicht zum Thema und kann von den Anwesenden auch nicht beantwortet werden.
heike_kühn: Ich habe iranische Filme für mich vor zehn Jahren auf dem Festival von Locarno entdeckt, bin immer noch fasziniert davon. Da gibt es nicht die Pseudoprobleme des deutschen Films (wo finde ich einen Samenspender, den Traummann usw.) Da geht es immer um die Existenz, aber auch um Menschenwürde unter schwierigen Bedingungen, um die Rebellion durch die Kunst. Ich habe es verabscheut, mich in Teheran zu verschleiern, aber ich habe Frauen kennengelernt, die mich trösteten: Man bedecke, sagten sie, nur den Kopf, die Gedanken seien frei. Im Iran gibt es so viele Widersprüche: Staubige Städte, aber Landschaften voller explodierender Farben. Wer einen Eindruck gewinnen möchte, sollte sich >Gabbeh< von Mohsen Makhmalbaf ansehen.
Moderator: Frage von Vector an Heike Kühn:    "Im Westeh haben wir vielleicht ein zu einfaches Bild von "der islamischen Welt". Gibt es Länder, in denen es kritische - auch gesellschafts- und religionskritische - Filme einfacher haben als in anderen? "
Moderator: Wir überziehen gerade, ist das in Ordnung?
Moderator: Ich finde den Chat sehr interessant und würde gerne noch etwas verlängern, wenn noch Zeit vorhanden ist.
Christoph_Erlenkamp: Ich finde es auch gerade sehr interessant, und hoffe, Frau Kühn ist noch etwas länger bereit.
heike_kühn: Zunächst einmal stammen die "islam-kritischsten" Filme aus islamischen Ländern. Gerade die Regisseurinnen aus Tunesien und Algerien, aus Jordanien und dem französischen Exil setzen sich engagiert mit dem Frauenbild im Islam und dem westlichen Verständnis vom Islam auseinander. In Tunesien hat man ihre Filme mit Verboten belegt, in Algerien waren sie ein Skandal. Eine der algerischen Regisseurinnen (sie ist auch Schriftstellerin) musste vor den Todessdrohungen bis in die USA fliehen. In Ägypten ist man schon weiter, aber paradoxerweise fehlen dort die Regisseurinnen. In Deutschland haben es diese Filme für gewöhnlich schwer, weil sie als schwere Kost gehandelt werden. (Was nicht stimmt, sie sind sinnlich, phantasievoll und auf ihre, oft traurige Weise, eine Bereicherung). Es gibt nur wenige kleine Verleihe, die sich spezialisiert haben. Aber als dann >Kandahar< von Makhmalbaf ins Kino kann, war die Nachfrage riesig. Ich habe gerade in Nürnberg den Film vorgestellt, das Kino war voll, die Leute begeistert, die Diskussion toll.
Moderator: Frage von Vector an Heike Kühn:    "Vielen Dank für Ihre Antwort bzgl. des Verständnisses der Bildsprache in islamischen Ländern. Nun gleich eine andere Frage: wie schwer fällt es denn Ihrer Meinung nach uns "Westlern", diese Filme zu verstehen. Uns ist bspw. die persische Erzähltradition ja nicht bekannt. Und nun darüber hinaus: wie können dann Filme, z.B. aus dem Iran, uns die Lebenswelt des Irans näher bringen?"
Moderator: Ich mach einfach mal weiter :)
heike_kühn: Vielleicht werden Sie nicht verstehen, was ein Granatapfel symbolisiert. Aber es gibt einen iranischen Film, der >Der Apfel< heißt, und den werden Sie sofort verstehen, schätzen und lieben. Die Poesie ist eine universelle Sprache, die uns nur verloren gegangen ist. Vieles erinnert an die Deutsche Romantik, aber wenn Sie sich einen solchen Film ansehen, werden Sie es nicht einmal bemerken,so leicht ist es diese Schwelle zu überschreiten, weil es immer eine menschlich nachvollziehbare Haltung gibt:Gefühle, die universell sind, Ängste, Hoffnungen. In Mohsen M. Film >Der Radfahrer< muß ein afghanischer Gastarbeiter, dessen Frau im Iran im Krankenhaus liegt, für einen windigen Wetteneintreiber sieben Tage und Nächte im Kreis fahren, um eben jenes Geld zu verdienen, das ihm im Krankenhaus für die Behandlung seiner Frau wieder abgenommen wird. Am Ende hat er die Wette gewonnen, aber er kommt vom Rad nicht mehr herunter, kann den Teufelskreis nicht beenden. Jeder wird das verstehen und mitleiden. Wenn ie mal auf etwas stoßen, was Ihnen fremd vorkommt, eben die Bedeutung einer Schildkröte, die über ein Grab kriecht, oder der Granatapfle, möchte ich Ihnen Annemarie Schimmel empfehlen: Die schönsten gedichte aus Pakistan und Indien , Islamische Lyrik aus tausend Jahren.
Moderator: Glaubst Du, daß sich in Afghanistan auf längere Sicht etwas ändern wird in Bezug auf die Diskriminierung der Frauen?
heike_kühn: Unbedingt. Es sind mittlerweile gebildete Frauen zurückgekehrt, die Schulen übernehmen oder Frauen ein handwerk beibringen. Oder ihnen einfach nurbeweisen, dass sie nicht zu einem schwarzen Stein werden,wie man es ihnen eingerdet hat, wenn sie die Burka abnehmen. Es gibt sogar schon afgh. Frauen im Internet, sie sammeln Gelder für Frauenprojekte und sind immens rührig. Aber es wird noch lange dauern. Schon vor den Taliban waren von 20 Frauen nur zwei des Lesens und Schreibens mächtig, eben die Elite. Unter den Taliban wurden ganze Generationen vom Wisenn ausgegrenzt. Mit der Bildung der Frauen wird auch das Patriarchat angekratzt werden. Aber dazu braucht es auch Straßen ins Inland . Noch sitzen die Herren nämlich in unzugängigen Bergdörfern, in die kein Kino, kein Fernsehen vordringt. Also keine Bilder vom anderen Leben.
Moderator: Vielen Dank, ich denke, wir beenden den Chat dann an dieser Stelle.
Christoph_Erlenkamp: Ich möchte mich ganz herzlich bei Heike Kühn, bei Oliver und den Fragestellern bedanken. Es war ein wunderbarer Chat, und ich glaube, Heike Kühn hat uns sehr neugierig auf viele Filme gemacht, die uns alle sicherlich bereichern werden. Nun wieder einmal Werbung: der nächste Chat, der in Verbindung mit der "Politik und Terror" Reihe der bpb bei und mit dol2day durchgeführt wird, findet am 5. Juni um 19:00 mit der Politologin Prof. Dr. Beate Neuss von der Technischen Universität Chemnitz statt. Thema: "Zivilgesellschaft und Demokratie als Antwort auf den Terror". Bis denn!
Moderator: Ich möchte mich ebenfalls bei Heie Kühn bedanken, daß sie Zeit für diesen Chat hatte und mich nochmals entschuldigen für die Verspätung. Ich denke, wir shen uns dann beim nächsten Chat :)
heike_kühn: Ich freue mich über das Interesse, aber ich muß jetzt bald aufhören. Ich bin am Wochenende an einem Seminar über >Glücksversprechen und Glücksverlangen im Kino< beteiligt und muß mich noch vorbereiten, und zwar auf die Einführung eines iranischen Films, >Die Farben des Paradieses< geheißen. Wer Lust aufs Kino hat, und Antworten sucht, die man nicht überall findet: Die Arnoldshainer Filmgespräche sind eine Fundgrube. Vielen Dank für das Gespräch - und sorry für die vielen Tippfehler.
Christoph_Erlenkamp: Also, bis zum nächsten Mal!
Moderator: Auf wiedersehen und viel Erfolg beim Seminar
: Christoph_Erlenkamp hat den Raum verlassen
heike_kühn: Danke, auf Wiedersehen. Na, ja, Wiederlesen.
Moderator: Tschüüs und auf Abmelden klicken bitte :)
: Moderator hat den Raum verlassen