Chat-Transkript vom 11.04.2002

Ursula Meissner, Fotojournalistin

Thema: Afghanistan nach dem 11. September

Diavortrag am 10.April 2002 in Stuttgart.

Weitere Informationen befinden sich rechts auf der Startseite unter Institutionen.


: Ursula_Meissner hat den Raum betreten
: Christoph_Erlenkamp hat den Raum betreten
Moderator: Herzlich willkommen beim Chat auf dol2day. Ich freue mich sehr heute Frau Ursula Meissner begrüssen zu dürfen. Der Chat hat das Thema: " Afghanistan nach dem 11. September" und findet in Anlehnung an die Reihe "Politik und Terror" der Bundeszentrale für politische Bildung/bpb statt.
Moderator: Zunächst sollte sich jeder Teilnehmer kurz vorstellen. Mein Name ist Andreas Hauser und ich werde den Chat heute moderieren und die Fragen der Mitglieder an Sie weiterleiten.
Christoph_Erlenkamp: Mein Name ist Christoph Erlenkamp. Ich gehöre zum Organisationsteam der Reihe "Politik und Terror", und möchte alle Chat-Teilnhehmer im Namen der Bundeszentrale für politische Bildung ganz herzlich begrüßen. Insbesondere natürlich Frau Meissner!
Ursula_Meissner: Hallo, mein Name ist Ursula Meissner und ich freue mich auf viele gute Fragen
Moderator: Frau Meissner. Sie sind letzte Woche erst aus Kabul zurück gekommen. Können Sie den Mitlesern kurz schildern, was Sie erlebt haben ? Wie hat sich das Alttagsleben der Frauen seit dem Sturz der Taliban verändert?
Ursula_Meissner: Nachdem iich im Dezember in Kabul unterwegs war und damals nur leichte Veränderungen und nur ganz wenige Frauen ohne Burka sah, war ich jetzt sehr überrascht, wie sich das Stadtbild verändert hat. Mehr Frauen trauen sich jetzt ohne Verschleierung und in der Uni oder in den Schulen findet man auch Frauen, die stolz darauf sind, Ihren Schleier nicht mehr tragen zu müssen
Ursula_Meissner: Die Veränderungen im Dezember beschränkten sich darauf, dass man jetzt die Fersen der Frauen sehen konnte, was unter den Taliban verboten war
Ursula_Meissner: und Frauen alleine ohne männliche Begleitung Taxi fahren durften. Oder man sie auf dem Markt sah, ohne männliche Begleitung. Das alles war unter den Taliban nicht möglich
Moderator: Glauben Sie, dass sich diese positiven Veränderungen weiter fortsetzten werden, oder gibt es in der Bevölkerung Strömungen die dagegen sind ?
Ursula_Meissner: Allerdings ist bei manchen die Euphorie, die ich zunnächst im Dezember spürte vorbei. Die Entwicklung geht eben sehr sehr langsam voran
Ursula_Meissner: Es wird jedenfalls sehr schwierig. Es gab in der letzten Wochen einen Putschversuch
Moderator: eine Frage die dazu passt ...
Moderator: Frage von Fattaru an Oliver:    "Würden sie die politische Lage in Kabul als stabil ansehen?"
Ursula_Meissner: Nein. Vielleicht kann man eher etwas nach den Wahlen dazu sagen, aber zunächst ist die Lage wirklich unsicher
Moderator: Entschuldigen Sie bitte die falsche Anrede :)
Moderator: Sie waren am am 9. September in Afghanistan. Wie haben Sie von den Anschlägen erfahren und wurden diese von der Bevölkerung aufgenommen?
Ursula_Meissner: Unter den Taliban hat man den Afghanen Besuch von Ausländern verboten. Wir wurden in der letzten Woche fast festgenommen, weil wir eine ehemalige national Basketball-Spielerin in ihrem Haus besucht haben. Die dann total verängstig sich von uns verabschiedet hat.
Ursula_Meissner: zu Ihrer Fragen 9. September. Sie meinen wahrscheinlich 11. September
Ursula_Meissner: Ich sass am 11. September den Taliban gegenüber "sehr demütig" und habe um ein Visum gebeten. Das man mir gab und ich noch am gleichen Tag Richtung Kabul fuhr
Ursula_Meissner: über Pakistan, Khyber Pass. Die Bilder, die ich direkt an der Grenze sah, ähnelten denen, ich ich vor 12 Jahren bei meinem letzten Besuch nach Afghansitan gemacht habe
Ursula_Meissner: Flüchtlinge kommen und gingen. Man muss wissen, in Pakistan, Peshawar, dem Grenzort leben etwa 2 Millionen Afghanen
Christoph_Erlenkamp: Wie sieht es derzeit in den Grenzstädten und Flüchtlingslagern aus?
Ursula_Meissner: na ja und dann auf ich in Afghanistan von UN-Mitarbeitern angehalten : ob ich nicht wüßte was passiert ist, es werden alle evakuiert und ich musste zurück. In Peshawar bekam ich eine SMS mit der Nachricht: Terror total wahrscheinlich steckt Afghanistan dahinter und Bettina Boettinger, die mich auf dieser Reise begleiten wollte, meinte, bring dich nur in Sicherheit. Ich blieb etwa 3 Wochen in Pakistan und im Grenzgebiet
Ursula_Meissner: die Flüchtlingslager werden von der UN so nach und nach aufgelöst. Man versucht die Menschen in ihre Dörfer zurück zu bringen und sie dort zu versorgen
Christoph_Erlenkamp: Und gelingt es der UN einigermaßen, die Flüchlinge mit dem Notwendigsten zu versorgen?
Moderator: Können sie die Stimmung gegenüber den USA schildern? Ist diese eher positiv, oder negativ?
Ursula_Meissner: in den Grenzstädten ist es unverändert. Es gehen zwar Flüchtlinge zurück nach Afghanistan und auch da werden Flüchtlingslager aufgelöst aber es sind immer noch sehr viele Afghanen nicht bereit nach Hause zu gehen
Ursula_Meissner: Die Menschen hungern in Kabul zumindest nicht. Und die Lager sind voll mit Mehl und Reis
Ursula_Meissner: Schwieriger ist die medizinische Versorgung
Ursula_Meissner: In Afghanistan sind nun wirklich die Deutschen beliebt, die Amerikaner würde man am liebsten nach Hause schicken.
Ursula_Meissner: Was aber die Amerikaner im Land machen und wie der Krieg gegen den Terror weiter geht, davon wissen wir ja wirklich fast gar nicht. Man läßt Journalisten einfach nicht hin
Ursula_Meissner: das ist wirklich tragisch. Dadurch gibt es zu viele Vermutungen und Gerüchte und man kommt sich hier was vor wie in Afghanistan, in dem es üblich ist ohne TV oder Zeitungen oder Radio von Gerüchten zu leben
Ursula_Meissner: Also, wir wissen wirklich nicht fast im Land passiert
Moderator: Ist es überhaupt möglich unabhängige Informationen zu bekommen?
Ursula_Meissner: Habe ich irgend eine Frage vergessen?
Ursula_Meissner: Nein, weil man da wo es spannend ist nicht hingelassen wird. Nicht mal CNN
Christoph_Erlenkamp: Frau Meissner, Sie sprachen eben die desolate medizinische Versorgung an. An was mangelt es ganz besonders?
Moderator: Wie muss man sich diese Blockade vorstellen ? Sind die militärischen Gebiete vollständig abgeriegelt? Gibt es keinerlei Möglichkeit dort hinzugelangen?
Ursula_Meissner: Es gibt keine Medikamente. Man sieht kaum ein Kind ohne irgendwelche Hautkrankheiten. Natürlich gibt es auch nur wenig Wasser in den Flüchtlingslagern. Dann die Krankenhäuser können keine Patienten aufnehmen, weil sie keine Medikamente haben usw.
Ursula_Meissner: Blockade. Genau. Die Amerikaner haben die Gebiete, in denen sie unterwegs abgeriegelt. Man kommt nicht hin.
Moderator: Momentan hat man den Eindruck, dass das Thema hier im Westen wieder in Vergessenheit gerät. Wissen Sie, ob noch Spenden für die afghanische Bevölkerung eingehen und wie effektiv die Hilfsorganisationen arbeiten?
Ursula_Meissner: Man muss sich vorstellen, dass es in Afghanistan (mittelalterliche Verhältnisse) noch den Tablettenhändler gibt. Der durch die Dörfer zieht und die Tabletten den Leuten nach Farbe verteilt.
Ursula_Meissner: Dadurch, dass in den letzten Jahren Afghanistan für die meisten Hilfsorganisationen kein Thema war, sind jetzt die NGO meistens noch dabei sich zu organisieren. Eine Infrastruktur aufzubauen. Selbst UNICEF oder ICRC sind noch eher im Aufbau und mit der Organisation von Projekten befasst. Es gibt aber kleiner Organisationen wie zum Beispiel ADRA, die mit einer afghanischen Organisation zusammen arbeitet und das läuft sehr gut...
Ursula_Meissner: zum Beispiel haben ADRA und ARDA (die afghanische Organisation) Decken im Winter von Witwen produzieren lassen, mit Baumwolle aus Afghanistan und diese Decken wurden dann an Hilfsbedürftige Menschen verteilt. Eine grossartige Sache
Ursula_Meissner: Die Spendenbereitschaft ist aber leider nicht so groß wie im Kosovo oder in Bosnien. Wahrscheinlich ist uns dieses Land einfach zu fremd?
Moderator: Frage von beio an Ursula Meissner : Die USA haben bei ihrem Feldzug Clusterbomben eingesetzt. Wie schätzen Sie die Gefahr von Blindgängern ein? Gibt es derzeit überhaupt Bemühungen der Alliierten die im ganzen Land verteilten Landminen zu entschärfen?
Ursula_Meissner: Eine gute Frage. Der ich auch schon im Dezember nachgegangen bin. Zum Beispiel hies es: die Amerikaner haben Clusterbomben in Herat eingesetzt. Eine Geschichte. Nachgewiesen wurde, dass es Clusterbomben gab, aber nur auf den Bergen um Herat. Die Splitterbomben ist wirklich ein großes Problem. Aber wo und wieviele tatsächlich neu abgeworfen wurden ist ungewiss
Moderator: Frage von p-chen an Ursula Meissner : Frau Meißner, wie stehen Sie persönlich zu dem Angriff auf Afghanistan? War dieser ihrer Ansicht nach berechtigt?
Ursula_Meissner: tatsache ist aber auch, dass es genug alte Minen im Land gibt. Es gibt UN-Bemühungen, die Menschen aufzuklären, sie davor zu warnen und auch Minensucher sind unterwegs. Bei weitem nicht genug
Ursula_Meissner: Das größte Problem dabei ist, dass keine Minenpläne vorliegen und man nicht genau weis wo sie liegen
Ursula_Meissner: Frage von p-chen: eine Pakistanische Journalistin hat mir geantwortet: es war eine Frage der Ehre für die Amerikaner. Ich finde, die Amerikaner hatten keine andere Wahl nur ob die Ausführung dann die Richtige war, kann ich nicht beurteilen, weil wir eben zu wenig wissen.
Moderator: Frage von shrekus an Ursula Meissner: In welche Richtung bewegen sich die wirtschaftlichen Bemühungen der afghanischen Regierung derzeit? Wo wird das Geld investiert? Werden zunächst Häuser wieder aufgebaut?
Ursula_Meissner: Das die Welt sich in den vergangen Jahren nicht für Afghanistan interessiert hat. Obwohl man wusste, was da passiert, das halte ich für tragisch.
Ursula_Meissner: Antwort für shrekus: Noch wird organisiert. Noch sind die Gelder nicht da. Es dauert alles sehr sehr lange. Auch die Regierung verfügt noch nicht über die Gelder, die man ihnen zugesagt hat
Moderator: Frage von mondariz an Ursula Meissner: Was geschieht mit den festgenommenen Taliban-Anhängern? Wird es eine Amnestie für diese geben oder bleiben sie inhaftiert?
Ursula_Meissner: Noch gibt es kaum funktionierende Büros, geschweige denn Computer. Die GTZ hat jetzt einige Computer dem Frauenministerium gestiftet, die aber noch nicht ausgepackt waren...
Ursula_Meissner: Auch aus KUBA erfährt man doch nicht wirklich etwas. Noch gibt es auch zu viele Taliban-Anhänger die man nicht gefasst hat. Und eben Afghanen, die früher Talib waren und auch wieder welche werden würden wenn es für sie besser wäre
Moderator: Unter den Taliban wurde den Frauen eine höhere Bildung versagt. Wie sieht es in Afghanistan mit dem Bildungssystem im Moment aus? Haben sich die Bildungsmöglichkeiten in den letzten Monaten verbessert ? Wie kann man sich das "Schulsystem" zur Zeit überhaupt vorstellen?
Ursula_Meissner: Die Schulen sind zwar zum größten Teil ohne Fensterscheiben, Schreibtische oder Stühle.Aber die Frauen und Mädchen dürfen wieder die Schule besuchen und das ist schon ein großer Fortschritt.
Ursula_Meissner: Es gibt auch viele Privatschulen
Ursula_Meissner: und alle Mädchen die wir getroffen haben wollen Studieren.
Ursula_Meissner: Schulbildung, Ausbildung, gehört meiner Ansicht nach zu dem wichtigsten was Afghanistan braucht
Moderator: Frage von mondariz an Ursula Meissner: Gibt es derzeit noch Bestrebungen das afghanische Königshaus wieder zu etablieren? Es hiess, der König kehrt in sein Land zurück. Ist er bereits wieder da und hegt er irgendwelche Machtansprüche?
Ursula_Meissner: Er wollte eigentlich in der Woche unserer Ankunft auch in Kabul sein, Ist aber nicht angekommen. Natürlich will die jetztige Regierung den König nicht. Es gibt allerdings eine Minderheit, die den König gerne wiedersehen würde.
Moderator: Frage von bobo15 an Ursula_Meissner: "Wie lange schätzen sie braucht Afghanistan um wieder aus dieser Talsohle rauszukommen?"
Ursula_Meissner: bobo15: AUWEIA. Ich glaube diese Frage kann keiner beantworten. Erdbeben, Dürrekathastrophe, 23 Jahre Krieg und der 11. September. Eigenlich frage ich mich, was müssen diese Menschen noch alles ertragen....
Ursula_Meissner: Afghanistan muss wohl so viele Berge überwinden, wie es Berg hat.
Moderator: Frage von beio an Ursula Meissner: Gibt es Angaben über die Anzahl der getöteten bzw. verwunderten Zivilisten?
Ursula_Meissner: Es gibt immer wieder Zahlen. Aber ich bin sicher, dass die nicht Stimmen. Weil wir eben nicht wissen was passiert
Moderator: Ich denke wir kommen dann langsam zum Schluss des Chats, da es mittlerweile 19.00 Uhr geworden ist .
Moderator: Ich möchte mich ganz herzlich bei Frau Meissner für den überaus interessanten Chat bedanken und selbstverständlich auch bei Herrn Erlenkamp für die Organisation. Ich hoffe, dass durch den Chat ein paar Fragen aufgeworfen wurden, die zum nachdenken anregen.
Ursula_Meissner: Vielen Dank.
Christoph_Erlenkamp: Frau Meissner, haben Sie ganz herzlichen Dank für diesen Chat. Die Gelegenheit, eine Augenzeugin mit ganz frischen Eindrücken aus Afghanistan befragen zu können, hat sich in der letzten Zeit wenig geboten. Auch herzlichen Dank an dol2day für die Durchführung und Moderation des Chats.
Moderator: Und ich möchte noch einmal auf die Internetseite von Frau Meissner aufmerksam machen, auf der einige Photos zu sehen sind
Ursula_Meissner: und bald auch eine neue Auswahl aus Afghanistan gezeigt wird.
Moderator: Ich wünsche allen Beteiligten einen angenehmen Abend.
: Christoph_Erlenkamp hat den Raum verlassen
: Ursula_Meissner hat den Raum verlassen
: Moderator hat den Raum verlassen