Chat-Transkript vom 19.06.2002

Jürgen Roth, Journalist und Autor, Frankfurt/Main

Thema: Netzwerke des Terrors in Deutschland und der Welt.

: Christoph_Erlenkamp hat den Raum betreten
: Juergen_Roth hat den Raum betreten
Juergen_Roth: einen schönen abend wünsche ich
Moderator: Guten Abend Herr Roth und Herr Erlenkamp!
Christoph_Erlenkamp: Hallo Herr Roth, schön, dass Sie da sind. Ich wünsche auch einen schönen Abend.
Juergen_Roth: Dann wollen wir mal schauen, ob es eine interessante Diskussion wird
Moderator: Herzlich willkommen beim Chat auf dol2day. Ich freue mich heute abend Jürgen Roth, Journalist und Autor, im Chat begrüßen zu dürfen.
Moderator: Ebenso begrüße ich Christoph Erlenkamp als Organisator des Chats.
Moderator: Mein Name ist Torsten Marek, Redaktion von dol2day und ich werde den Chat heute abend moderieren. Wie immer können alle Mitglieder an mich Fragen richten, die ich dann in den Chat weiterleite.
Moderator: Herr Roth, könnten Sie sich bitte kurz unseren Mitgliedern vorstellen?
Juergen_Roth: Ich bin Journalist und Schriftsteller und beschäftige mich seit 20 Jahren ausschließlich mit Organisierter Kriminalität und mafiosen Strukturen in der Gesellschaft. In der letzten Zeit habe ich die offenkundigen Verbindungen zwischen Organisierte Kriminalität und Terrorismus untersucht, weil das eineiige Zwillinge sind.
Juergen_Roth: Und dazu habe ich ein Buch geschrieben: Netzwerke des Terrors, das im November im Europa-Verlag erschienen ist.
Moderator: Danke. Das Thema des Chats heute ist "Netzwerke des Terrors in Deutschland und der Welt" - Was für nenneswerte Terrornetzwerke gibt es überhaupt in Deutschland?
Juergen_Roth: Wir haben zum einen die islamisch-fundamentalistischen Terrornetzwerke und ihre REpräsentanten, zum Beispiel die türkisch-islamische IBDA-C, die in kleinen Zellen organisiert ist. Und was besonders bedeutsam, Verbindungen zu Milli Görüs hat. Wir haben die ETA, Repräsentanten der UCK aus Kosovo, in Ansätzen noch die kurdische PKK um nur einige wenige zu nennen
Moderator: Frage von Vector an Jürgen Roth:    "Herr Roth, können Sie die Verbindungen zw. organisierter Kriminalität und Terrornetzwerken ganz kurz umreissen?"
Juergen_Roth: Alle Terrororganisationen, bzw. ihre Repräsentanten sind in Geldwäsche, den Waffen-und Drogenhandel verwickelt, genauso in Schutzgelderpressungen. Die tschetschenische Mafia zum Beispiel unterstützt mit grossen Geldsummen und Waffenlieferungen die sogenannten tschetschenen Rebellen. Die ETA wiederum ist selbst Teil der Organisierten Kriminalität geworden, insbesondere durch den Drogenschmuggel und die Verbindungen zu den südamerikanischen Drogenkartellen.
Juergen_Roth: Es gibt nur wenige Ausnahmen. Dazu zählte die südafrikanische Befreiungsbewegung.
Moderator: Inwiefern ist die südafrikanische Befreiungsbewegung eine Ausnahme?
Juergen_Roth: Weil es dort keine Verbindungen zur Organisierten Kriminalität gegeben hat
Moderator: Um die Frage auf den Punkt zu bringen: Wie finanziert sich die südafrikanische Befreiungsbewegung?
Juergen_Roth: Im wesentlichen durch sog. Mitgliedsbeiträge, durch finanzielle Unterstützung zur damaligen Zeit durch die UdSSR.
Christoph_Erlenkamp: Wie bewerten Sie die Vorgehensweisen zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität, und damit auch von Terrornetzwerken, seitens Polizeibehörden und Nachrichtendiensten?
Moderator: Frage von Vector an Jürgen Roth: Wodurch lassen sich Ihrer Meinung nach Befreiungsbewegungen, die Gewalt anwenden, von Terrornetzwerken unterscheiden?
Juergen_Roth: Terrornetzwerke sind prinzipiell diktatorisch geführt,sie haben nur vordergründig ein politisches, ethnisches oder religiöses Ziel, sie nehmen keinerlei Rücksichten auf die zivile unbeteiligte Bevölkerung - eben Terror, um Angst und Chaos zu erzeugen.
Moderator: Frage von Erlan an Jürgen Roth:    "Was für Ziele verfolgt die UCK denn in Deutschland?"
Juergen_Roth: In Deutschland geht es der UCK darum, ein Rückzugsgebiet zu haben, den Drogenhandel zu organisieren, insbesondere von Hamburg aus und teilweise die kriminell erwirtschafteten Gelder auch hier anzulegen.
Juergen_Roth: Eine gewichtige Rolle spielt sie zudem im internationalen Menschenhandel, insbesondere von Albanien nach Italien und dann nach Deutschland
Moderator: Frage von Erlan an Jürgen Roth: Gab es nicht Berichte, nach denen sich die UCK inzwischen aufgelöst hat? Oder waren das nur Ammenmärchen?
Juergen_Roth: Das sind in der Tat ammenmärchen. Als politische Organisation hat sie sich offiziell abgemeldet - doch ihre führenden Repräsentanten sind weiter aktiv, sozusagen im polit-kriminellen Geschäft
Moderator: Frage von Ephraim an Jürgen Roth:    "Sind Sie so, wie einige, der Meinung, das Deutschland tatsächlich ein Knotenpunkt für organisierten extremislamischen Terror ist?"
Juergen_Roth: Ganz sicher, wobei die Unfähigkeit oder Unwilligkeit mancher staatlichen Entscheidungsträger dazu beiträgt, diese wirklich zu bekämpfen. Es ist natürlich ein Problem der Inneren Sicherheit und vielleicht glaubt man, wenn man die Organisationen oder ihre Vertreter nicht antastet, dass dann Ruhe in Deutschland herrscht, also kein Terroranschlag ausgeübt wird
Juergen_Roth: Ich warte einmal auf eine Frage, welche Rolle die Nachrichendienste bei alledem spielen?
Moderator: Frage von Erlan an Jürgen Roth:    "Aber ist es nicht so, daß bisher - gottlob - es in Deutschland noch zu keinem solchen Anschlag gekommen ist? Nicht dass ich damit manche staatlichen Entscheidungen verteidigen will..."
Juergen_Roth: Ja, das ist richtig. Aber das bietet überhaupt keine stabile Sicherheit. Es ist ein dünner Boden der Hoffnung, dass es bisher keinen Terroranschlag gegeben hat.
Moderator: Wie könnte man denn eine stabile Sicherheit herstellen? Und: Wie würden Sie die Arbeit von Bundesnachrichtendienst und BKA bewerten?
Juergen_Roth: stabile Sicherheit ist nicht herzustellen. Man sollte aber diejenigen Repräsentanten von Terrororganisationen, die sich hier einen Ruheraum geschaffen haben oder logistische Arbeit leisten, nicht agieren lassen. Die Arbeit des BND bewerte ich überaus skeptisch, weil ich glaube, dass die Mitarbeiter nicht qualifiziert sind und in der Vergangenheit nur Schrottinformationen geliefert haben. Das BKA leistet sicher eine gute Arbeit, wenn es darum geht Analysen zu erstellen - mehr aber nicht.
Christoph_Erlenkamp: Können Sie Ihre Kritik am BND vielleicht mit ein paar Beispiele erläutern?
Juergen_Roth: Da gäbe es viel zu sagen. Der BND hat keinerlei Informationen über die türkisch-islamischen Terrororganisatinen, die in Deutschland agieren, insbesonder keine die ansatzweise gerichtsverwertbar sind. Die Quellen des BND sind häufig ziemlich suspekte Personen, die ein Eigeninteresse haben und Informationen liefern, um Konkurrenten auszuschalten. Es gibt eine Erkenntnis fast aller deutscher Staatsanwälte und Kripobeamter, die übereinstimmen sagen, dass der BND bislang nichts verwertbares geliefert hat.
Moderator: Frage von Erlan an Jürgen Roth:    "Ich hege ja die These, daß der BND gar nicht so schlecht ist, wie in der Öffentlichkeit immer behauptet wird - wäre eine gelugene Verschleierungstaktik."
Moderator: Frage von Erlan an Jürgen Roth:    "Wiewohl da auch ein bißchen Hoffnung mitschwingt - wenn wir einen Geheimdienst haben der uns schützen soll, dann bitte auch richtig. ;-)"
Juergen_Roth: Ein Nachrichtendienst ist sicher notwendig - alle andere wäre Unsinnig. Verschleierungstaktik? Dafür gibt es nicht ansatzweise Belege . Er ist einfach unprofessionell und daher kann das gefährliche Konsequenzen haben.
Moderator: Frage von Erlan an Jürgen Roth: Was halten Sie von den US-Bemühungen in Sachen "Heimatschutz"? Mit dem neuen eigenen Ministerium - auch eine Option für Deutschland?
Juergen_Roth: Überhaupt nichts. Die Trennung zwischen Polizei und Nachrichtendienst darf nicht aufgehoben werden und das passiert gerade in den USA. Ich halte das für einen fatalen Rückschritt.
Moderator: Frage von Erlan an Jürgen Roth: Wo wir gerade bei den USA sind: Ist es nicht auffällig, daß kaum nachdem CIA und FBI in Kritik geraten sind der US-Justizminister Ashcroft eine längst wochenalte Festnahme als Neuigkeit verkündet?
Juergen_Roth: Alles, was in der letzten Zeit an Meldungen über Festnahme von Terroristen bekannt wurde, an neuen Anschlägen ist auffällig, weil ich befürchte, dass der die berechtigte Angst vor Terroranschlägen politisch funktionalisiert wird.
Moderator: Unsere Zeit ist rum - damit kommen wir zum Ende des Chats.
Moderator: Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben, Herr Roth!
Juergen_Roth: Ich bedanke mich ebenfalls.
Christoph_Erlenkamp: Herzlichen Dank im Namen der Bundeszentrale für politische Bildung an Herrn Roth, Torsten Marek und alle eifrigen Fragesteller für den interessanten und informativen Chat. Herr Roth hält im Rahmen der Reihe "Politik und Terror" übrigens am Mittwoch, den 26. Juni 2002, um 18 Uhr in Wittenburg (Mecklenburg-Vorpommern) einen weiteren Vortrag, und zwar im Jugend- und Kommunikationszentrum (JUKZ). Vielleicht haben ja auch einige Chat-Teilnehmer Zeit und Gelegenheit vorbeizuschauen. Für heute wünsche ich allen noch einen schönen Abend.
: Juergen_Roth hat den Raum verlassen
: Christoph_Erlenkamp hat den Raum verlassen
Moderator: Danke, Herr Erlenkamp. Ich wünsche allen einen schönen Abend und verabschiede mich.
: Moderator hat den Raum verlassen